05. November 2024
Eine kurze Geschichte des Berner Klosterlebens
Naemi Zürcher
Studierende Interreligiöse Studien
Bern, wo heute gut drei Mal so viele reformierte wie katholische Einwohner:innen leben kann man sich nur schwerlich als Klosterstadt vorstellen. Doch vor 800 Jahren gehörte zur Französischen Kirche auch ein prächtiger Konvent, welcher Dominikanermönche und -nonnen beherbergte. Wie gestaltete sich das Leben im Kloster in der Stadt Bern? Was führte zur Auflösung des Klosters? Und welche Rolle spielten dabei ein paar Tropfen rote Farbe?
Die Stadt Bern kann einige prächtige Kirchen vorweisen. Die Französische Kirche jedoch scheint häufig übersehen zu werden. Wenn man die Kirche, die nahe des Kornhausplatzes steht, besucht, sieht man nur wenige Tourist:innen. Das mag auch daran liegen, dass man aufgrund ihrer Lage kaum Instagram-taugliche Fotos hinkriegt. Auch beim Betreten der Kirche wirkt sie auf den ersten Blick eher unscheinbar: Die Wandbilder verblasst, der Eingang wenig einladend und die für ein Konzert aufgestellte Bühne erinnert eher an ein Industriegebäude. Doch hinter dieser bescheidenen Fassade verbirgt sich ein Stück Berner Kirchengeschichte, das wir nun etwas genauer betrachten.
Abbildung 1: Kommt auf Fotos nicht so recht zur Geltung: Die Französische Kirche in Bern. (Foto: Naemi Zürcher)
Die Entstehung eines Klosters
Zu Beginn dieser Geschichte hiess die Französische Kirche noch Predigerkirche und war Teil des Predigerklosters. Der Name Predigerkirche kommt daher, weil es die Ordensgemeinschaft der Dominikaner war, welche den Konvent erbauen liess. Und die Dominikaner nannte man „Prediger“, denn das Predigen, und nicht etwa nur das Rezitieren aus der Heiligen Schrift, war dem Heiligen Domenikus, dem Gründer des Ordens, besonders wichtig.
Man weiss, dass das Kloster ab 1269 bewohnt wurde, das genaue Erbauungsdatum ist hingegen nicht bekannt. Die Dominikaner waren ein Bettelorden und verlangten von ihren Ordensgeschwistern Armut, Keuschheit und Demut, was im starken Kontrast zum gelebten Glauben der damaligen Kirche stand, die eher für Habsucht, Verweltlichung und Hochmut bekannt war. Durch die Dominikaner erhoffte man sich, nun endlich auf die Nachfolger Jesu blicken zu können, die seinem Befehl folgten, nichts ausser einem Stab mit auf den Weg mitzunehmen – dies unter Berufung auf den Bibeltext gemäss Markus 6, 8). In Bern nahm der Dominikanerorden zu Beginn konsequent keinen Besitz an und auch die Mahlzeiten schienen sehr mager gewesen zu sein. Bei der Besitzlosigkeit spielte wohl auch eine Rolle, dass die Gläubigen sich fürchteten, dass ein etwaiger Besitz enteignet werden könnte. In der Mitte des 14. Jahrhunderts hatte man die Besitzlosigkeit jedoch aufgegeben.
Ein besonderer Auftrag
Der Dominikanerorden wurde bereits 1231, also vor der Errichtung des Berner Klosters, aufgrund seiner intellektuellen Brillanz, für die er bekannt war, mit der Leitung der Inquisition beauftragt. Bei der Inquisition (von lat. inquisito, Untersuchung) ging es darum, Leute aufzuspüren, welche aus Sicht der Kirche Irrlehren verbreiteten, dies zum Schutz der göttlichen Weltordnung und dem ewigen Heil der Gläubigen. Weil dies nicht konsequent genug umgesetzt wurde, beauftragte der Papst persönlich die Bettelorden, insbesondere die Dominikaner, mit der Durchführung von Inquisitionsverfahren, welche sich später auch gegen Zauberei und Hexerei richteten. Die Kirche, die zu dieser Zeit über ungeheure Macht in der Gesellschaft verfügte, geriet immer wieder unter Beschuss. Einflussreiche Einzelne oder Gruppierungen kritisierten ihre Machenschaften oder propagierten eine alternative Auslebung des Glaubens. Die Kirche wollte diese Stimmen zum Schweigen bringen, sodass sich solche Ansichten nicht weiterverbreiten konnten.
Als solche Unruhestifter betrachtete die Kirche auch die Waldenser. Die streng sittliche Gemeinschaft, die damals in Bern verbreitet war, tadelte den Klerus und wollte die Hierarchie der Kirche ändern. 1277, als sich die Dominikaner gerade in Bern etablierten, beteiligten sie sich die Berner Ordensbrüder erstmals an einem solchen Prozess gegen die Waldenser und verurteilten sie zum Feuertod.
Hundert Jahre später sorgte ein weiterer Ketzerprozess für grosses Aufsehen, diesmal gegen einen Stadtbürger namens Löffler. Dieser machte sich schuldig aufgrund seines „freien Glaubens“, er stellte sich gegen die päpstliche Autorität und die Lehre von der Verdienstlichkeit der Werke. Weil die Bekehrungsversuche der Inquisitoren den Herrn Löffler nicht zum Widerruf zu bewegen vermochten, wurde er 1374 ebenfalls zum Feuertod verurteilt.
Der, gemäss den Chronikern, aufregendste Prozess fand einige Jahre später statt und lässt in die damalige Sittlichkeit und tiefe Religiosität der Berner Gesellschaft blicken. Angeklagt wurden eine ganze Reihe von Männern und Frauen, die folgende Lehren verbreiteten: „Weder Papst noch Bischöfe noch Priester haben das Recht Sündenablass zu ertheilen. Wallfahrten haben keine versöhnende Kraft. Die an die Heiligen gerichteten Gebete sind ganz nutzlos. Sowohl die Heiligen als auch die Reliquien können keine Wunder bewirken. Es giebt kein Fegefeuer. Todtenmessen für die Verstorbenen sind kraftlos und daher zu unterlassen. Die Gläubigen sollen sich gegenseitig ihre Sünden bekennen und für dieselben Busse thun.“ (Das Dominikaner Kloster in Bern von 1269 – 1400, 43). Die Beklagten wurden diesmal nicht zum Tode aber zu sehr hohen Geldbussen verurteilt. Der Leser erkennt, die Reformation ist unwiderruflich im Anmarsch.
Illustre Gäste versus Observanz
Das Stadtkloster schrieb aber nicht nur durch Ketzerprozesse Geschichte, sondern auch durch illustre Gäste. Im Laufe der Zeit beherbergte das Kloster Kaiser, Könige und Päpste und erlang dadurch zu Bekanntheit und Ruhm. Ein Wendepunkt für die Disziplin und das Wirken des Konvents war die Einführung der Observanz, die sich zu Beginn des 15. Jahrhunderts durchsetzte. Obwohl die Dominikaner ursprünglich ein Bettelorden waren, häuften sie im Laufe der Zeit Besitztümer an. Als Brüder von Nürnberg nach Bern ins Kloster zogen, setzten sie alte Regeln wieder durch und sorgten für Zucht und Ordnung.
Abbildung 2: Aus
diesem Blickwinkel lässt sich der einstige Glanz der alten Zeiten gut
nachvollziehen. (Bild: Naemi Zürcher)
Der Jetzer-Prozess
Im Jahre 1506 trat ein junger Mann ins Berner Kloster ein, der unwissentlich den Untergang des Klosters einläutete, noch bevor das die Reformation in Bern tun konnte. Ganz in dominikanischer Tradition, verehrte Hans Jetzer die Jungfrau Maria besonders. Als Jetzer dann von Maria-Erscheinungen berichtete und ein Bild der Maria in der Klosterkirche eine sichtbare rote Träne aufwies, welche von den Brüdern als Blut identifiziert wurde, bezichtigte man Jetzer der Fälschung und die rote Träne soll bloss gewesen Farbe sein. Man verdächtigte die Dominikaner, mit falschen Erscheinungen wollen sie den Ruf der dominikanischen Frömmigkeit zum Nachteil der Franziskaner schädigen. Denn die Erscheinungen Jetzers schienen es in den Augen Einiger nur darauf abzusehen, für die Theologie der Dominikaner zu werben, die besagt, dass die Jungfrau Maria von der Erbsünde betroffen war.
Als der Berner Rat davon hörte, leitete er einen langen und aufsehenerregenden Prozess gegen Jetzer ein, der damit endete, dass Jetzer verbannt und vier weitere Dominikanerbrüder wegen Betrug auf dem Scheiterhaufen verbrannt wurden.
Das Ende des Klosters
Schlussendlich war es dennoch der Beschluss des Reformationsmandates 1528, der zur Auflösung des Dominikanerklosters in der Stadt Bern führte. Sieben Mönche traten dabei zum neuen Glauben über. Bereits gut einen Monat später zogen die Patient:innen des Niederen Spitals in das Gebäude des Klosters ein.
Das Kloster diente bis zum Bau des Burgerspitals 1742 als Krankenhaus, aus dem Westflügel wurde später ein Zucht- und Waisenhaus installiert. Später wurde es unter anderem von französischen reformierten Glaubensflüchtlingen genutzt, welche dort verschiedenartige Textilien anfertigten. 1899 musste der Konvent dann dem Stadttheater Platz machen und wurde abgerissen.
Heute heisst die Predigerkirche Französische Kirche, weil sie der französischsprechenden Bevölkerung Berns, zu Beginn vor allem übergesiedelten Waadtländern, als Kirche dient.
Abbildung 3: Im Wandel der Zeit: Hier stand einst der Konvent, nun ein Café. (Bild: Naemi Zürcher)
Stadtkloster 2.0
495 Jahre nach der Schliessung des Berner Stadtklosters hat im Sommer 2023 ein neues Stadtkloster Einzug gehalten. Nicht am alten Standort, der Konvent steht ohnehin nicht mehr, sondern in der Friedenskirche im Mattenhof-Quartier. Sogar das Schweizer Fernsehen widmete diesem Thema einen Beitrag. Nun gelten aber andere Regeln. Das Kloster ist nicht Mönchen und Nonnen vorbehalten, sondern soll allen offen stehen. Regelmässige Nachtgebete, Rundgänge und ein Waffelcafé ermöglichen es auch der Bevölkerung, am Klosterleben teilzuhaben. Mit diesen Aussichten lässt sich hoffen, dass die weitere Klostergeschichte der Stadt Bern erfreulicher weitergeschrieben wird.
Zur Vertiefung
https://blog.nationalmuseum.ch/2023/03/der-jetzerhandel-von-bern/
Literatur
Hofer, Paul und Mojon, Luc: Die Kunstdenkmäler des Kantons Bern, Die Kirchen der Stadt Bern, Antonierkirche, Französische Kirche, Heiliggeistkirche und Nydeggkirche (Band V). Basel 1969.
Descoedres, Georges und Utz Tremp, Kathrin: Bern. Französische Kirche. Ehemaliges Predigerkloster. Archäologische und historische Untersuchungen 1988 – 1990 zu Kirche und ehemaligen Konventgebäuden. Bern 1993.
Newald, Richard. Hans-Gert Roloff (Hg.): Probleme und Gestalten des Humanismus. Kleinere Schriften zur Literatur- und Geistesgeschichte. Berlin 1963.
Eder, Manfred: Kirchengeschichte. 2000 Jahre im Überblick, Ostfildern 2. Aktualisierte Auflage 2020.
Utz Tremp, Kathrin: Bern: Kuratorium der Helvetica Sacra (Hg.). Helvetica Sacra. Abteilung IV. Die Orden mit Augustinerregel. (Band 5). Erster Teil. Basel 1999.
Homburg, Elke und Lucke-Huss, Karin: Schnellkurs Klöster. Köln 2007.
Autorenschaft unbekannt: Das Dominikanerkloster in Bern von 1269 – 1400. Neujahrsblatt. Bern 1857.