9. Januar 2023
Seelsorge für Frieden in Asylzentren
Soll Seelsorge in Asylzentren eingesetzt werden, damit Friede herrscht und das Zusammenleben einfacher wird? Oder sollen auch persönliche Anliegen der Asylsuchenden im Fokus stehen können?
Mixhever Doko (sie/ihr) – Master Sekundarstufe 1, PH Bern
Das Pilotprojekt des Staatssekretariats für Migration
Ein zentraler Aspekt von Religion ist die Seelsorge, in welcher Menschen durch schwierige Lebenssituationen und Krisen begleitet werden. In solch einer Lage befinden sich beispielsweise Menschen, die in der Schweiz um Asyl bitten. Um sie persönlich sowie geistlich in der herausfordernden Situation begleiten zu können, sind sie auf Zugang zu Seelsorge ihrer entsprechenden Religion angewiesen. Der Bedarf muslimischer Seelsorge besteht, jedoch sind die Ressourcen der islamischen Glaubensgemeinschaft beschränkt, weshalb sie diesen Bedarf nicht eigenständig abdecken können. In einem Pilotversuch hat das Staatssekretariat für Migration (SEM) zu Beginn des Jahres ein Projekt präsentiert, in welchem muslimische Seelsorgende 2021 in acht verschiedenen Asylzentren Betroffene begleitet haben. Drei dieser Asylzentren sind in der Ostschweiz gelegen, drei weitere in der Westschweiz und zwei im Kanton Zürich, zudem sollte im Tessiner Asylzentrum muslimische Seelsorge zum Einsatz kommen. Ein zentraler Auftrag der muslimischen Seelsorgenden war es, die angespannte Situation in den Asylzentren zu beruhigen. Die dort wohnhaften Asylsuchenden gefährdeten mit ihrem renitenten Verhalten die öffentliche Sicherheit und Ordnung der Bundesasylzentren. Insbesondere waren Asylsuchende aus dem Maghreb mit muslimischer Religion an Konflikten beteiligt. Daher sollte das Projekt, nebst der etablierten christlichen Seelsorge, auch die muslimische Seelsorge für Asylsuchende zugänglich machen, um sie in der schwierigen Lage zu unterstützen und so auch den Frieden in den Asylzentren herzustellen.
Ist ein Zusammenhang zwischen Konflikt und Islam a priori gegeben?
Ausgehend vom oben geschilderten Sachverhalt könnte sich nun die Frage stellen, ob Religionen per se konfliktfördernd sind und im konkreten Fall hier der Islam a priori im Zusammenhang mit Konflikten steht. Erfahrungen der Menschheit zeigen, dass im Zusammenleben verschiedener Religionen Konflikte entstehen können. Soziale Faktoren wie die Grösse der Religionsgemeinschaft, die Anwesenheitsdauer in einem Land sowie die Herkunft spielen eine grosse Rolle dabei, wie eine Glaubensgemeinschaft in der Schweiz wahrgenommen wird, was das Konfliktpotenzial in der Interaktion mit der betreffenden Religion beeinflusst. Die einzelnen Ausrichtungen innerhalb einer religiösen Gemeinschaft unterscheiden sich aufgrund dieser verschieden ausgeprägten sozialen Faktoren massgeblich. Dieser wichtige Aspekt geht in der öffentlichen Diskussion jedoch häufig vergessen, was zusätzlich zu mehr Konflikten führen kann, da gegebenenfalls von falschen Tatsachen ausgegangen wird.
Zurück zum Konfliktpotenzial von Religionen: Im Rahmen der Auseinandersetzung mit islamischem Fundamentalismus oder Migration wird Religion oftmals sowohl als Faktor von Konflikten, aber gleichzeitig auch als deren Lösung in der Friedens- und Konfliktforschung gesehen. Vor allem seit dem islamistisch motivierten Anschlag auf das World Trade Center im Jahr 2001 hat sich die Sicht auf die unsichtbare Religion geändert und die gesellschaftliche Bedeutung religiöser Themen hat eine neue Relevanz erhalten. Bei der Religion wird zwischen endogenen und exogenen Faktoren bzw. Konfliktpotenzialen unterschieden. Mit Ersterem ist beispielsweise der Wahrheitsanspruch von Religionen gemeint, welcher Gefahr zum Fanatismus birgt, indem die Abgrenzung zum Anderen bzw. Fremden verstärkt wird. So könnte ein Konfliktpotenzial zwischen der ingroup und outgroup entstehen. Exogene Faktoren wirken von aussen auf Religionen ein und verursachen dadurch Konflikte. Um die Konfliktthematik der Religionen mit dem Thema Krieg und Frieden, welches uns während des Semesters begleitet hat, zu verbinden, versuche ich hier eine Annahme: Wenn man davon ausgeht, dass Krieg ein eskalierter politisch-religiöser Konflikt ist, könnte man darauf schliessen, dass Religion der Ursprung von Krieg ist. Um politisch-religiöse Konflikte aber genauer verstehen zu können, müssen nebst den endogenen auch die exogenen Gründe berücksichtigt werden. So kommt man auf ein Zusammenspiel verschiedener Ursachen, welche als eine Pluralität von Motivlagen beschrieben werden kann, die zu politisch-religiösen Konflikten führt. Es kann also nicht davon ausgegangen werden, dass Religion bzw. in diesem Fall der Islam a priori zu Konflikt bzw. Krieg führt.
Ist interreligiöser Dialog wie Fussball spielen?
Wie oben erläutert, birgt das Zusammenleben nebst allem Positiven, welches ich nicht näher ausgeführt habe, auch Konfliktpotenzial. Deshalb gibt es einige Voraussetzungen, welche im interreligiösen Dialog entscheidend sind, wenn eine gute Kommunikation angestrebt wird. Einer der bedeutendsten Faktoren im interreligiösen Dialog sind Ressourcen. Sehr gut erkennbar wird dies im Versuch, den interreligiösen Dialog durch das Fussballteam FC Religionen, welches 2008 gegründet wurde, zu fördern. Mitglieder sind Pfarrer:innen, Priester, Rabbiner und Imame, die sich mehrmals im Jahr treffen, um gemeinsam Fussball zu spielen. Sie haben jedoch unterschiedliche Voraussetzungen, welche dazu führen, dass einige Mitglieder nicht immer an den Spielen teilnehmen können. Gleich würde es sich verhalten, wenn eine Fussball-Liga mit Teams unterschiedlicher Religionsgemeinschaften gegründet würde. Wenn beispielsweise das muslimische Team nicht mehr mitspielen würde, würde dies nicht zwangsläufig bedeuten, dass die muslimische Gemeinschaft nicht dialogfähig ist, sondern ihr tatsächlich oftmals die Ressourcen fehlen, um stets mitspielen zu können. Ein faires Spiel verlangt gleiche Voraussetzungen. So ist es auch im interreligiösen Dialog – kleinen Glaubensgemeinschaften in der Schweiz fehlen oftmals die Ressourcen, um am Gespräch teilzunehmen und somit gleichermassen im interreligiösen Dialog mitwirken zu können.
Seelsorge in Berner Asylzentren: Privatsache oder öffentliche Aufgabe?
Ähnlich verhält es sich mit der muslimischen Seelsorge in Asylzentren, welche zu Beginn erwähnt wurde. Die Ressourcen der muslimischen Gemeinschaften in Bern reichen nicht aus, um die Anstellung der Seelsorgenden in den besagten Asylzentren finanziell stemmen zu können – diese werden vom Staatssekretariat für Migration (SEM) angestellt und entlöhnt. Im Kanton Bern wurden in diesem Jahr Seelsorgende auf Kosten von Kirchen in Asylzentren engagiert. Nach kurzen Telefongesprächen mit Leitenden der Kollektivunterkünfte in Köniz, Bern und Zollikofen erhielt ich den Eindruck, dass Seelsorge kein vordergründiges Thema in den Asylzentren nahe Bern zu sein scheint. In einem der Asylzentren soll die Seelsorge von den Flüchtenden selbst bzw. beiläufig beim eigenen Termin für jemand anderen organisiert werden, jedoch nicht vom Asylheim selbst. Dies geschieht mit der Begründung, dass ein Asylheim konfessionslos sein muss. Beim Kollektivheim in Köniz soll noch nie eine flüchtende Person nach einer Seelsorge verlangt haben, jedoch würden sie einen Termin vereinbaren, falls dies vorkommen würde. Die Frage nach einer nahe gelegenen Moschee wird aber oft gestellt. In der Kollektivunterkunft können die Asylsuchenden jederzeit mitteilen, wenn sie den Bedarf nach Seelsorge haben. In keinem der drei Asylheime sind Seelsorgende vor Ort, ohne dass die Asylsuchenden selbst darum bitten bzw. selbstständig einen Termin organisieren. Weitere Fragen bezüglich der Seelsorge in Asylzentren konnten mir schwer beantwortet werden, da kaum Erfahrungen damit gemacht wurden. Aufgrund der traumatischen Erlebnisse der Asylsuchenden soll der Bedarf an muslimischer Seelsorge jedoch da sein.
Konflikte im Asylzentrum aufgrund unterschiedlicher Religionszugehörigkeit sind laut den Angaben eher selten. Wenn, dann eher innerhalb einer Religion aufgrund verschiedener Auslegungen der Praktiken, weshalb auch schon ein Imam hinzugezogen wurde. In der Kollektivunterkunft in Köniz werden die Asylsuchenden meist nach Ethnie und Religion in den Wohnblöcken aufgeteilt. Kommunikation und somit auch der interreligiöse Dialog zwischen den verschiedenen Glaubensgemeinschaften werden so eher erschwert. Beunruhigend fand ich die Meldung, dass «viele christliche Freikirchen versuchen, unter falschem Vorwand, wie zum Beispiel mit einem Deutschkurs, Muslim:innen abzugraben, und versuchen, so Menschen zu bekehren.» Diese Einschätzung spricht meiner Meinung nach für eine Organisation von Seelsorgenden unter der Leitung oder der Aufsicht des Asylzentrums und den betreffenden Religionsgemeinschaften, damit klar Ziele und Voraussetzungen der Seelsorge geklärt werden können.
Ich komme zum Schluss, dass Ressourcen in verschiedenen Bereichen ausschlaggebend sind – sowohl in der Seelsorge im Asylbereich als auch im interreligiösen Dialog sind gleiche Voraussetzungen notwendig, um etwas bewirken zu können.
Zur Vertiefung
Sesabe: Seelsorge für Geflüchtete