09. Januar 2023
Die ungewisse Zukunft des Islamischen Zentrums in Bern
Der Islam ist mit 5,4 % Anteil nach diversen christlichen Gemeinschaften die am stärksten vertretene Religion in der Schweiz, trotzdem ist sie nicht öffentlich-rechtlich anerkannt. Die Suche nach einem neuen Gebetsraum für das Islamische Zentrum in Bern zeigt exemplarisch, welche Probleme sich hieraus ergeben können.
Lisa Maria Stirnimann (sie/ihr) – Bachelor Germanistik und interreligiöse Studien Bern (2. Semester)
Öffentlich-rechtlich anerkannte Religionsgemeinschaften in der Schweiz
In Bern gibt es vier öffentlich-rechtlich anerkannte Religionen: das evangelisch-reformierte, das römisch-katholische und das christ-katholische Christentum und die jüdische Gemeinschaft. Diese vier Religionsgemeinschaften haben einige entscheidende Vorteile gegenüber privatrechtlich organisierten Gemeinschaften, aber auch mehr Pflichten.
Die Geschichte des Islams in der Schweiz
Bei den Muslim*innen in der Schweiz handelt es sich überwiegend um Migrant*innen. Seit den 1960er Jahren sind viele Muslim*innen als von der Schweizer Wirtschaft angeforderte Arbeitskräfte oder als Asylsuchende in die Schweiz gekommen.
Die sehr vielfältige Herkunft der muslimischen Menschen in der Schweiz bedeutet, dass hier keine einheitliche muslimische Kultur oder ein einheitlicher muslimischer Glauben existiert. Ein Grossteil der heute in der Schweiz lebenden Muslim*innen bekennt sich zur Gemeinschaft der Sunnit*innen, doch sind auch Schiit*innen, Alevit*innen, Sufis und andere Glaubensgemeinschaften vertreten. Die Spaltung zwischen den Sunnit*innen und den Schiit*innen kommt daher, dass die Sunnit*innen überzeugt sind, dass jede*r Muslim*in Anführer*in der islamischen Glaubensgemeinschaft werden kann. Schiit*innen hingegen glauben, dass ausschliesslich männlichen Nachkommen von Ali (dem Schwiegersohn Muhammeds) und Fatima (der Tochter Muhammeds) diese Macht zusteht. Alevit*innen pflegen ein anderes Gottes- und Koranverständnis als die Sunnit*innen und Schiit*innen und lehnen die Scharia (das islamische Recht) ab. Der Sufismus verkörpert die mystische Dimension des islamischen Glaubens. Mit verschiedenen Techniken wie Meditation, Gesang oder Musik versuchen Sufis, den Eingott-Glauben zu verinnerlichen, was bis zur völligen Vereinigung mit Gott führen soll.
Sunnit*innen stammen hauptsächlich aus dem Norden Afrikas, Saudi-Arabien, Afghanistan und Pakistan und machen alleine 85–90 % der muslimischen Glaubensgemeinschaft aus, Schiit*innen sind vor allem im Iran und Südirak vertreten. Alevit*innen sind vorwiegend in der Türkei ansässig, Sufis im Irak.
An dieser Stelle ist zu betonen, dass es den Islam so nicht gibt – weder in der Schweiz noch anderswo auf der Welt. Wie oben erwähnt gibt es zahlreiche Ausprägungen des islamischen Glaubens. Eine Gemeinsamkeit der verschiedenen Glaubensgemeinschaften ist der Bezug auf den Propheten Mohammed: Dem Koran zufolge ist er der letzte Prophet, den Gott auf die Erde gesandt hat (sogenannter Siegelprophet) und seine Lebensführung gilt für Muslim*innen heute noch als vorbildlich.
Situation des Islamischen Zentrums von Bern heute
Das Islamische Zentrum von Bern fand über viele Jahre hinweg seinen Platz in einer gemieteten Einstellhalle im Lindenrain 2, die eine Fläche von ca. 380 m2 aufweist. Sie wurde den Bedürfnissen der Gemeinde so weit wie möglich angepasst und mit Teppichen und heiligen Schriften ausgestattet. Ausserdem war der Gebetsraum in zwei Bereiche eingeteilt: einen für die Männer und einen für die Frauen. Das Islamische Zentrum Bern ist eine Stiftung, die 1978 gegründet wurde und anfänglich überwiegend aus türkischen Geflüchteten bestand. Über die Jahre kamen immer mehr Geflüchtete aus dem Gebiet des ehemaligen Jugoslawien hinzu und heute besteht der Verein ungefähr zu 50 % aus Somalier*innen und zu 50 % aus Gläubigen aus anderen muslimisch geprägten Ländern wie der Türkei.
Aktueller Gebetsraum des islamischen Zentrums (Foto: Ali Osman)
Nun steht die islamische Gemeinschaft vor einem neuen Problem: Die umfunktionierte Einstellhalle, in der sie über 40 Jahre lang ihr Zentrum gestalten durfte, steht ihnen ab September 2022 nicht mehr zur Verfügung. Die Kündigung erhielt sie 2020. Seither ist sie auf der Suche nach einem neuen, vorzugsweise etwas grösseren Raum.
Prozess und Probleme bei der Suche nach einem neuen Raum
Die Aufgabe der Raumsuche übernimmt zum grössten Teil Ali Osman. Er ist seit Jahren aktiv bei der Islamischen Stiftung in Bern und kümmert sich freiwillig darum, für das Zentrum einen geeigneten neuen Standort zu finden. Der Prozess der Raumsuche erweist sich allerdings als aufwendig und teilweise frustrierend. Die Anforderungen an den Raum sind nicht sehr hoch: Er sollte ca. 500 m2 gross sein, über einen Wasseranschluss verfügen und genügend Platz für eine Küche, ein kleines Büro und einen Aufenthaltsraum haben. Ausserdem sollte er gut mit öffentlichen Verkehrsmitteln zugänglich sein und möglichst zentral in der Stadt Bern liegen.
Die Raumfindung an sich ist also schon kein einfaches Verfahren und hinzu kommt die Finanzierung: Öffentlich-rechtlich anerkannte Religionen werden finanziell vom Staat unterstützt, das heisst, sie dürfen Steuern einziehen. Privatrechtlich organisierte Gemeinschaften hingegen müssen sich selbst durch Spenden von Mitgliedern oder zum Teil aus dem Ausland finanzieren. Das Islamische Zentrum in Bern ist eine Stiftung, was bedeutet, dass sie keine Mitglieder, sondern Besucher*innen haben. Die Stiftung ist finanziell zu 100 % von den Spenden dieser Besucher*innen abhängig, die meistens an den Freitagsgebeten eingesammelt werden.
Was laut Ali Osman ein zusätzlicher Grund für die Schwierigkeiten bei der Raumsuche sein könnte, ist eine gewisse Vorsicht bei der Vermietung an die Organisation. Es kam auch schon zu Situationen, in denen sich die Vermieter*innen nach einem Gespräch mit der Stiftung zurückgezogen haben. Die Gründe dafür können sehr vielseitig sein, doch islamophobe oder xenophobe Motive können dabei nicht ausgeschlossen werden. Vielleicht wäre den Eigentümer*innen oder auch den Nachbar*innen nicht wohl dabei, wenn jeden Tag hunderte von Muslim*innen – grösstenteils Migrant*innen – im Gebäude ein- und ausgingen. Eine weitere Befürchtung seitens der Vermieter*innen und Anwohner*innen könnte eine zu hohe Lärmbelastung sein. Dies ist allerdings alles Spekulation; die genauen Gründe sind Ali Osman nicht bekannt.
Öffentlich-rechtlich anerkannten Gemeinschaften begegnen kaum Probleme bei der Raumsuche: Sie haben in der Regel ihren Standort und laufen nicht Gefahr, zur Räumung gezwungen zu werden und sich einen neuen Platz suchen zu müssen.
Weiteres Vorgehen: Interreligiöse Unterstützung?
Im Moment sieht die ganze Situation relativ aussichtslos aus und es besteht die Sorge, ob das Islamische Zentrum in den nächsten Monaten noch einen geeigneten Ort findet, in dem die Besucher*innen ihre Religion ausüben können. Der nächste Schritt und die vielleicht letzte Hoffnung von Ali Osman besteht darin, die Kirchgemeinden in Bern anzufragen. Diese haben teilweise Räumlichkeiten, die sie vielleicht provisorisch als Gebetsraum zur Verfügung stellen könnten.
Fazit
Die Raumsuche des Islamischen Zentrums von Bern ist ein anspruchsvolles Unterfangen. Einerseits sind die finanziellen Mittel ein Thema, andererseits allfällige xenophobe oder islamophobe Haltungen von Nachbar*innen und Eigentümer*innen. Wäre der Islam öffentlich-rechtlich anerkannt, wäre die Organisation finanziell abgesichert und sie hätte mehr Räumlichkeiten zur Verfügung. Ich fände es sehr schade, wenn eine Organisation, die sich schon so lange für Muslim*innen in der Schweiz eingesetzt hat, nun an diesem Problem scheitern würde.
Zur Vertiefung
Webseite Islamisches Zentrum Bern
Historisches Lexikon der Schweiz – Islam
Swissinfo: Anerkennung der muslimischen Glaubensgemeinschaft ist umstritten
Religionen – Bundesamt für Statistik
Schweiz Statistik – Muslim*innen nach Glaubensrichtung
Bildquelle Zürcher Mahmud-Moschee: https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/9/9e/Mahmud_Moschee1.jpg