09. Januar 2023
Förderung des Dialogs über Religionen bei Jugendlichen – eine Alltagsbeobachtung
Der Dialog über verschiedene Religionen mag bei Jugendlichen nicht das Gesprächsthema erster Wahl sein. Die aktuellen Geschehnisse in der Weltgeschichte führen jedoch unweigerlich über die Themen Krieg und Frieden zu den verschiedenen Kulturen und Religionen. Inwiefern kann der Kontakt mit verschiedenen Religionen den Dialog und die Offenheit der Jugendlichen fördern?
Jonas Schönfeld (er/ihm)
Master Sekundarstufe 1, PH Bern
Jugendliche und ihre Alltagsthemen – Religion?
Jugendliche tauschen sich im Normalfall über ihre Hobbys, den Sport, die Freundschaften und vieles mehr aus – die Religion beziehungsweise die Religionen hingegen werden wenig bis gar nicht angesprochen. Einzig die muslimischen Jugendlichen definieren sich zum Teil stark über ihren Glauben und drücken dies auch aus, indem sie beispielsweise den Ramadan im schulischen Rahmen zelebrieren. Im Frühling 2022 haben sich jedoch die Geschehnisse auf der Welt überschlagen, wodurch auch die Themen auf dem Pausenplatz oder im Klassenzimmer deutlich ernster und tiefgründiger wurden. Dies sind pauschale Beobachtungen von mir als junge Lehrperson in einer ländlichen Schule rund zwanzig Autominuten von Bern entfernt.
Ich selbst kann mich kaum an religiöse Themen während meiner Laufbahn durch die Volksschule erinnern. Einzig in der kirchlichen Unterweisung wurde das Christentum abgehandelt, die vielen anderen Religionen wurden aus meiner Retrospektive kaum oder gar nicht angesprochen. Für mich war dies zu jener Zeit unwichtig und ich habe mich mehr für Sport oder andere Freizeitaktivitäten interessiert. Durch meine Ausbildung und auch meine Erfahrungen als Lehrperson bin ich heute überzeugt, dass die Vielfalt in und um die Religionen Jugendliche sehr wohl ansprechen kann und deren Horizont und Perspektive erweitert; entscheidend ist hierbei – wie bei so vielem – die Inszenierung.
Weshalb entsteht ein Krieg und wieso ist Frieden ein kostbares Gut? Welche Rolle spielt Religion für die Gesellschaft oder den einzelnen Menschen in unterschiedlichen Lebenssituationen? Diese Fragen sind im schulischen Kontext aufgrund des Krieges in der Ukraine aufgekommen. Und durch die bedrückende Aktualität war es mir ein Anliegen, diesen Themen Raum im Unterricht zu geben. Daher habe ich mich im Fach Räume, Zeiten und Gesellschaft dazu entschieden, die historischen und geografischen Hintergründe des Krieges zu behandeln. Ausserdem haben wir im Fach Ethik, Religion und Gemeinschaft die Thematik der Weltreligionen vorgezogen – aus der Überlegung heraus, dass in vielen Kriegen und Konflikten die Religionen auf irgendeine Weise involviert sind respektive waren.
Dies führt mich zur Leitfrage des vorliegenden Beitrags: Inwiefern kann der Kontakt mit verschiedenen Religionen den Dialog und die Offenheit der Jugendlichen gegenüber religiösen Themen fördern? Diese Leitfrage wird anhand von Klassengesprächen, einem Erfahrungsbericht des Besuchs im Haus der Religionen und Highlights aus den abschliessenden Schülerreflexionen beantwortet.
Religionen im Unterricht und in der Freizeit
Im Rahmen der Übung Religionen in Bern haben wir neben anderen Glaubensstätten auch das Haus der Religionen besucht. Insbesondere die Führung im Hindu-Tempel hatte für mich das Potential, die Jugendlichen meiner Klasse zu packen und zu begeistern. Aus diesem Grund habe ich mich dazu entschieden, mit meiner Klasse eine Exkursion ins Haus der Religionen durchzuführen. Glücklicherweise konnte ich eine Führung bei Sivakeerthy Thillaiambalam buchen, der Priester und Mitglied des Vorstands im Haus der Religionen ist. Seine freundliche, offene und zugleich witzige Art, den Jugendlichen den farbenfrohen Tempel mit den verschiedenen Altären näherzubringen, ist überwältigend und sehr zu empfehlen. Der Tempel als solcher ist durch seine Vielzahl beeindruckender Altäre, die verschiedenen Darstellungen der Gottheiten und die spannenden Gerüche mit unterschiedlichen Sinnen erfahrbar und meiner Meinung nach für Kinder und Jugendliche sehr gut geeignet, um in eine andere Religion oder Kultur einzutauchen. Die Schüler*innen waren erstaunlich interessiert und haben dem Priester viele Fragen gestellt. Insbesondere die verschiedenen Gottheiten und die Erzählungen dazu haben die Klasse gepackt und auch noch auf der Rückfahrt beschäftigt. Die Möglichkeit der Wahl seiner Lieblingsgottheit fand bei vielen Jugendlichen Anklang und wurde angeregt diskutiert. Ein Schüler konnte sich jedoch gar nicht mit der Idee des Polytheismus anfreunden – dies aus seiner persönlichen (familiären) Überzeugung. Dies hat im Nachgang zu einer sehr spannenden Diskussion in der Klasse geführt, wobei Themen wie Sinn und Unsinn, Gerechtigkeit, Offenheit etc. von Religionen diskutiert wurden und viele Fragen zur weiteren Behandlung aufkamen.
Abbildung 1: Shiva Altar im Tempel des Verein Saivanerikoodam, Haus der Religionen Bern.
Abschliessend haben die Schüler*innen einen kurzen Erfahrungsbericht zum Ausflug erstellt. Neben destruktiven Aussagen wie «Ich interessiere mich immer noch nicht für Religionen…» oder «Mir hat es im Tempel zu fest nach Räucherstäbchen gerochen» war für mich das Highlight die folgende Aussage einer Schülerin: «Die vielen Götter haben mich fasziniert. Ich habe gemerkt, dass ich eigentlich sehr wenig über die verschiedenen Religionen weiss, und das möchte ich ändern.»
Persönliches Fazit – Religionen zum Anfassen
In der Nachbearbeitung der Exkursion ins Haus der Religionen ist mir aufgefallen, wie spannend es für Jugendliche sein kann, Religionen zu erfahren. Meine persönliche Umsetzung war eher spontan und die vorgängige Einführung der Schüler*innen entsprechend knapp. Nichtsdestotrotz war der Besuch nicht nur ein Lückenfüller, sondern vielmehr ein Funken, welcher das Interesse vieler Jugendlicher meiner Klasse entzündet hat und somit auch die Offenheit gegenüber religiösen Themen fördert. Dies gilt auch für mich als Lehrperson; so habe ich Religion bisher eher als trockene Materie wahrgenommen und somit die Vielfalt der Möglichkeiten verpasst.
Dieser Beitrag ist mit Sicherheit alles andere als wissenschaftlich fundiert. Ich persönlich nehme mir aber vor, weitere Glaubensstätten mit Schüler*innen zu besuchen und erfahrbar zu machen und somit zum Dialog innerhalb der Klasse, aber vielleicht auch zum Austausch in Familien oder unter Freunden beizutragen. Entscheidend für den Lernerfolg und insbesondere die Offenheit der Schüler*innen erscheinen mir die Möglichkeiten, verschiedene Religionen zu erfahren – oder gar anzufassen. Durch das daraus gewonnene Interesse ist auch die Bereitschaft der Jugendlichen, sich in religiöse Themen zu vertiefen, grösser und der Lernerfolg als Klasse vielversprechend.
Als weitere Ziele und somit persönliche Empfehlungen für Lehrpersonen an der Oberstufe würde ich an dieser Stelle die Synagoge der Jüdischen Gemeinde Bern und den Gebetsraum des Islamischen Zentrum Bern hervorheben. Diese erscheinen mir einerseits durch die Lokalität und andererseits durch meine erlebten Führungen für Oberstufenklassen geeignet.
Zur Vertiefung
Haus der Religionen, Europaplatz 1, 3008 Bern
Jüdische Gemeinde Bern, Kapellenstrasse 2, 3011 Bern
Islamisches Zentrum Bern, Lindenrain 2, 3012 Bern
Literatur
Bühler, Willi; Bühlmann, Benno; Kessler, Andreas (2009). Sachbuch Religionen – Hinduismus, Buddhismus, Judentum, Christentum, Islam. Luzern: db-Verlag.
Bildquelle: https://haus-der-religionen.ch/wp21/wp-content/uploads/2021/03/hindutempel-c-stefan-maurer-1024×768.jpg