23. JUNI 2023
Bestattungstraditionen im Wandel:
Eine Brücke zwischen muslimischer Tradition und multikultureller Gesellschaft in Bern
Im Jahr 2021 zeigte die Statistik in der Schweiz, dass 39% der ständigen Wohnbevölkerung ab 15 Jahren einen Migrationshintergrund hat. Die Migration führt dazu, dass hier zurzeit eine multikulturelle Gesellschaft vorhanden ist. Von einer multikulturellen Gesellschaft spricht man, wenn Menschen aus verschiedener Kultur, Religion und Herkunft miteinander leben. Die Kultur und Religion sind eng miteinander verbunden und beeinflussen sich gegenseitig. Doch trotzdem sind sie unterschiedliche Konzepte. Die Kultur entwickelt sich über eine längere Zeit und entsteht durch die Interaktion zwischen den Menschen und ihrer Herkunft. Die Religion beschäftigt sich mit den Fragen des Glaubens und ist eine Anleitung für die Lebensweise der Menschen. Die muslimischen Bestattungen in der Schweiz müssen aufgrund der vorhandenen Kultur gewisse gesetzliche Bedingungen einhalten. Doch inwiefern können muslimische Bestattungen an die Anforderungen einer multikulturellen Gesellschaft in Bern angepasst werden?
Havvanur Tiryaki (sie/ihr) – Master Sekundarstufe 1, PH Bern
Rund ein Drittel der muslimischen Bevölkerung im Kanton Bern wurde hier geboren und ist aufgewachsen. Dies wirft die Frage auf, ob ihre Bindung zur Schweiz sich von der der Menschen mit Migrationshintergrund unterscheidet. Es zeigt sich eine Tendenz, dass die gebürtigen Muslime meistens eine stärkere Verbindung zum Wohnsitzland und zur Gesellschaft aufweisen. Sie sind mit multikulturellen Traditionen aufgewachsen und haben so ihre Identität entwickelt. Es kann für sie eine Herausforderung sein, zwischen ihren religiösen Überzeugungen und ihrer Integration in die Schweizer Gesellschaft ein Gleichgewicht zu finden. Diese Integration könnte Auswirkungen auf die Sichtweisen der muslimischen Gemeinschaften in Bezug auf ihre religiösen Traditionen haben. Ein Beispiel hierfür ist die Bestattungskultur. Die Mehrheit der Muslime möchten traditionell eine Beisetzung im Familiengrab in ihrer Heimat haben. Dafür gibt es verschiedene muslimische Bestattungsunternehmen, die dafür sorgen, dass man nach dem Tod in die Heimat gebracht wird. Doch es zeichnet sich zu dieser Tradition ein Wandel ab, da in der Schweiz zunehmend muslimische Friedhöfe entstehen.
Muslimische Bestattung
Im Islam ist vorgeschrieben, dass die verstorbene Person nach dem Tod gewaschen wird. Diese Waschung wird meistens bei den Männern durch die Imame und bei den Frauen von einer weiblichen Angehörigen übernommen. Bei der Waschung gibt es bestimmte Vorgehensweisen, die durchgeführt werden. Nach der Waschung wird die verstorbene Person in ein weisses Leinentuch, namens Kefen, gehüllt. Der Kefen besteht aus demselben Stoff, den Muslime bei der Wallfahrt nach Mekka tragen. Das Totengebet darf nicht während des Sonnenaufgangs oder -untergangs gesprochen werden, sondern meist beim Nachmittagsgebet. Der Sarg der verstorbenen Person wird so aufgestellt, dass das Gebet Richtung Mekka erfolgen kann. Der Imam steht direkt hinter dem Sarg und dahinter sind alle Bekannten. Nach dem Totengebet wird der Sarg auf den Friedhof gebracht. Die Familienmitglieder tragen den Sarg zum Grabfeld. Die verstorbene Person wird mit dem Leinentuch aus dem Sarg genommen und begraben. Während der Beerdigung und auch während der Trauerzeit wird für die verstorbene Person möglichst oft der Qur’an rezitiert.
Muslimische Grabfelder in Bern
Auf dem Bremgarten-Friedhof in der Stadt Bern kommen verschiedene religiöse Traditionen zusammen, darunter das Christentum, der Islam, der Hinduismus und der Buddhismus. Der Friedhof dient als Symbol für Solidarität und Respekts gegenüber den verschiedenen Religionen. Um das Jahr 1850 herum wuchs die Bevölkerung in Bern so schnell, dass es zu Platzmangel auf den Friedhöfen kam. 15 Jahre wurde später fand man die Lösung für dieses Problem, nämlich den Bau eines neuen Friedhofs beim Bremgarten. Ab 1865 gab es auf dem Bremgarten-Friedhof in Bern die ersten Beerdigungen. Im Jahr 1998 hatte die muslimische Gemeinschaft den Wunsch einen eigenen muslimischen Friedhof zu besitzen. Seit 2002 existieren auf dem Bremgarten-Friedhof muslimische Grabfelder.
Thomas Hug, der Leiter des Bremgarten-Friedhofs, hat in seiner Führung wichtige Fragen beantwortet. Vor der Bebauung der muslimischen Grabfelder setzte man sich mit Vertretern verschiedener Gemeinschaften an einen runden Tisch. Bei diesem Treffen wurden die verschiedenen Anforderungen seitens muslimischer Gemeinschaft und seitens Stadt Bern diskutiert. Nach dieser Besprechung musste man gewisse Kompromisse eingehen. Die wichtigste Anforderung der Muslime war die Ausrichtung der Gräber nach Mekka. Bei muslimischen Grabfeldern im Bremgarten-Friedhof wird der Kopf der verstorbenen Person im Grabfeld Richtung Mekka ausgerichtet. Alle Grabfelder im Friedhof sehen gleich aus. Es gibt bestimmte Vorgaben für die Bodenfläche des Grabes. Die Stadt Bern bietet den Angehörigen die Möglichkeit, das Grabfeld selbst zu bepflanzen oder bepflanzen zu lassen. Andernfalls wird Gras eingesät. Das Grabfeld darf ausserdem mit einem Grabstein geschmückt werden. Derzeit gibt es auf dem Bremgarten-Friedhof zwischen 400 und 450 muslimische Grabfelder. Wenn man sich die Grabsteine ansieht, fällt schnell auf, dass es sich mehrheitlich um verstorbene Personen aus der Türkei und aus dem Balkan handelt. Falls Familienmitglieder nebeneinander begraben werden möchten, ist dies durchaus möglich, jedoch nur auf den christlichen Grabfeldern.
Abbildung 1: Bild von den muslimischen Grabfeldern in Bern (Foto von Havvanur Tiryaki)
Abbildung 2: Grabstein auf dem muslimischen Friedhof (Foto von Havvanur Tiryaki)
Religiöse Tradition vs. Gesetz – Gibt es Widersprüche?
Bei einem solchen Projekt wie dem Bremgarten- Friedhof kann es tatsächlich zwischen religiösen Traditionen und den Gesetzen zu Widersprüchen führen. In Bern kam es zu drei grossen Diskussionspunkten, bei denen Kompromisse gefunden werden konnten: die Sargbestattung, der Bestattungszeitpunkt, und die ewige Grabesruhe.
Das Grabfeld ist ein Sargreihenfeld. Gemäss muslimischer Tradition sollten die verstorbenen Personen in einem Leinentuch und nicht in einem Sarg begraben werden. Da dies in der Schweiz verboten ist, einigte man sich darauf, dass die Toten in einem Leinentuch im Sarg begraben werden.
Das Schweizer Bestattungsgesetz besagt, dass die Bestattung frühestens 48h nach dem Tod stattfinden kann. Aus muslimischer Sicht sollte die Beisetzung jedoch innerhalb von 48h nach dem Tod erfolgen. Da das Gesetz, das nicht zulässt, haben es die Muslime akzeptiert, dass die Bestattung erst 48h danach erfolgt.
Der dritte Widerspruch ist die Dauer der Grabesruhe. In der Schweiz werden die Gräber nach 20 Jahren wieder belegt. In muslimischen Traditionen bleiben die Gräber für immer bestehen. Um diesen Kompromiss zu lösen, wurde die Entscheidung getroffen, dass im Bremgarten-Friedhof bis zu drei Schichten übereinander begraben werden kann.
Unterstützungen/Herausforderungen durch die örtliche Gemeinschaft?
Bei einem solchen Konzept eines Friedhofs für mehrere Religionszugehörigkeiten, können es durchaus Herausforderungen auftreten. Bei dem muslimischen Friedhof in Bern waren zu Beginn die Herausforderungen gross. Es gab negative Reaktionen von aussen und die Angehörigen der Stadt Bern hatten viele Ängste. Mittlerweile hat sich diese Situation entspannt. Hierbei ist die Kommunikation sehr wichtig. Die Anforderungen beider Seiten müssen transparent aufgeführt werden, um zukünftige Konfrontationen zu vermeiden.
Schlussfolgerung
Immer mehr Muslime lassen sich in der Schweiz bestatten, was darauf hinweist, dass sich die Gedanken und die Werte der muslimischen Gemeinschaften durch die Diaspora verändern. Die Familien möchten ihre verstorbenen Personen in ihrer Nähe haben und lassen sie daher auch in Bern begraben. Der Bremgarten-Friedhof ist für die Gesellschaft eine grosse Möglichkeit, Kompromisse zwischen religiösen Traditionen und den geltenden Regeln zu finden und gleichzeitig die Bedürfnisse und Überzeugungen verschiedener religiöser Gemeinschaften zu respektieren.
Zur Vertiefung
FUL Islamische Bestattungshilfe