23. JUNI 2023
Buddhismus in der Schweiz:
Zu Besuch im traditionsübergreifenden Zentrum für Buddhismus in Bern
Ist „der“ Buddhismus erst 150 Jahre alt? Wie ist der Buddhismus nach Bern gekommen und warum fühlen sich Menschen aus westlichen Kulturen vom Buddhismus angezogen? – Ein Bericht über das Zentrum für Buddhismus in Bern und ein Selbstversuch in einer (Online-) Meditationsgruppe.
Jann Philipp (er/ihm) – Master Sekundarstufe 1, PH Bern
Zu Besuch im Zentrum für Buddhismus in Bern
Gemäss dem Bundesamt für Statistik lebten 2016 etwa 37’000 Buddhist_innen in der Schweiz. Durch Vorträge, Meditationen, Kurse und Retreats setzen sie sich individuell oder in Gruppen mit den Lehren Buddhas auseinander. Die Traditionen wurden im Westen unterschiedlich rezipiert. Entsprechend hoch ist dabei die Vielfalt an Gruppen und deren Auslegung der Lehre. Wir waren zu Besuch im Zentrum für Buddhismus Bern an der Reiterstrasse 2. Das Gebäude ist klein. Eine umfunktionierten Einstellgarage dient als Räumlichkeit und ist von aussen leicht zu übersehen.
Uns empfängt Stefan Lang. Er ist Mitglied des Vereinvorstands und Kernmitglied der Vipassana Meditationsgruppe des Zentrums. Seit 2012 ist er Dharma-Lehrer. Kurz und prägnant führt er uns durch die Geschichte des Buddhismus.
Abbildung 1: Einzig Gebetsfahnen schmücken das Eingangstor des Zentrums für Buddhismus Bern. (Bild: Jann Philipp)
Buddhismus – Eine uralte Religion oder doch erst 150 Jahre alt?
Ohne genauer auf die einzelnen Inhalte des Vortrags zum Buddhismus einzugehen, möchte ich hier ein paar Punkte festhalten, die mir aus dem Vortrag geblieben sind: Alle Hauptrichtungen im Buddhismus haben ihren Ursprung in Indien. Die zentrale Figur dabei stellt der Buddha dar, der vor 2500 Jahren im heutigen Nordost-Indien lebte. Entgegen den Legenden um die historische Figur, war der angebliche Prinz vermutlich eher der Sohn eines Grossbauers und wuchs in einer Agrargesellschaft auf. In der damals vorherrschende Gesellschaftsstruktur dominerte das Kastenwesen. Mit seiner neuen Denkweise war Buddha ein Sozialreformer. Ihm konnten alle folgen, die wollten, unabhängig davon, zu welcher Kaste man gehörte. Nach dem Leben Buddhas wurden seine Lehrreden aufgeschrieben und verbreiteten sich in alle Himmelsrichtungen. Unabhängig voneinander bildeten sich unterschiedliche Traditionen.
Die drei Hauptströmungen sind der Theravada- („Das kleine Fahrzeug“, die älteste Tradition), der Mahayana- („Das grosse Fahrzeug“) und der Vajrayana-Buddhismus („Das schnelle Fahrzeug“, eine Unterkategorie des Mahayana, der auch als Tibetischer Buddhismus bekannt ist). Im 12. Jahrhundert wurde Indien Opfer einer Invasion durch türkischstämmige, muslimische Völker. Die buddhistischen Traditionen waren dadurch weitgehendst aus Indien verschwunden und die Übrigen blieben darauf lange Zeit unbeachtet. Erst im 19. Jahrhundert fielen dem französischen Religionswissenschaftler Eugène Burnouf (1801-1852) die Gemeinsamkeiten der unscheinbar zusammengehörenden Strömungen auf, die er als „Buddhismus“ zusammenfasste. „Den Buddhismus“ als Sammelbegriff gibt es also erst seit ungefähr 150 Jahren und stellt ein Konstrukt aus westlicher Sicht dar.
Wie der Buddhismus in die Schweiz kam
Obwohl buddhistische Traditionen schon früh mit westlichen Kulturen in Kontakt kamen, weckten sie erst spät das Interesse bei westlichen Gebildeten. Lange Zeit galten die fremden Kulte als sogenanntes Heidentum. Erst über Schopenhauer (1788-1860), Wagner (1813-1883), und weitere unterschiedliche Autor_innen entwickelte sich im Westen ein Interesse für buddhistische Ideen. So auch in der Schweiz. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhundert bildeten sich dann erste Gruppen, Zentren und Institute im Land. Spätestens mit der Aufnahme von rund 1000 tibetischen Geflüchteten in den 60er-Jahren wurde der Buddhismus auch in der breiten Bevölkerung wahrgenommen. 1976 wurde die Schweizerische Buddhistische Union (SBU) gegründet. Ein Dachverband zu dem auch das Zentrum für Buddhismus Bern gehört.
Warum sich Menschen aus westlichen Kulturen vom Buddhismus angezogen fühlen
Das Zentrum für Buddhismus Bern ist seit 2000 ein traditionsübergreifendes Zentrum und bietet unterschiedlichen buddhistischen Traditionen Raum. Es gibt eine Vipassana-Gruppe (Theravada), eine japanische sowie eine vietnamesische Zen-Gruppe (Mahayana) und bis vor kurzem gab es noch eine tibetische Gruppe (Vajrayana).
Die Räumlichkeit wird also rege genutzt, womit sich die Frage stellt, warum sich Menschen des Westens vom Buddhismus angezogen fühlen? Laut Stefan Lang sind die Gründe vielschichtig:
So wie Buddhismus im Westen rezipiert wird, sei er sehr pragmatisch ausgelegt: Man lernt wie Leid entsteht und Leid endet. Kosmologische und metaphysische Fragen seien im Sinne Buddhas weniger von Interesse. Es gehe mehr um eine Geisteshaltung und die Auseinandersetzung mit „leidhaften Zuständen im Herzen und Geiste“. Weiter sei Buddhismus prozessorientiert: Die Argumentationslage beruht meist auf Ursache-Wirkungs-Ketten – ein im Westen gewohntes Denkmuster. Buddhismus sei stark erfahrungsbasiert: Gerade bei der Meditation basiere viel auf der individuellen Erfahrung. Sei es bezüglich der Atmung, dem Körperempfinden, der Denkweise oder dem Fühlen. Zudem setze Buddhismus zur Ausübung kein Vorwissen oder Kenntnisse der Schriften voraus. Buddhismus sei rational: Ein rationaler Zugang sei einfach. Buddhismus funktioniere auch gut, wenn man ihn einfach als psychologisches System betrachtet. Und zu guter Letzt: Buddhismus sei ermächtigend. Das alles scheinen Attribute zu sein, welche auch Menschen aus westlichen Kulturen ansprechen und mit einer modernen Lebenswelt kompatibel sind.
Buddhismus als Mainstream-Phänomen
Stefan Lang macht in seinem Vortrag auch auf die buddhistische Symbolik als westliches Mainstream-Phänomen aufmerksam. Nebst der gelebten Tradition in Gruppen, so wie sie im Zentrum für Buddhismus Bern rezipiert werden, ist der Buddhismus längst auch schon in unserem Alltag angekommen. Buddhistische Symbole schmücken Wellness-Einrichtungen und in jedem grösseren Baugeschäft werden neben Gartenzwergen und Tierfiguren auch Buddha-Figuren verkauft. Das Verständnis über die Inhalte der ursprünglichen Traditionen scheint gering. Die Begeisterung an buddhistischen Symbolen und deren Ästhetik dafür ist umso grösser.
Abbildung 2: Buddhistische Mönchs-Figuren im Gartencenter (Bild: Jann Philipp)
Ein Selbstversuch in einer (Online-)Meditationsgruppe
Nach dem Besuch war mein Interesse an dieser unauffälligen Szene geweckt. Es nahm mich wunder, wie so eine Meditations-Sitzung einer Gruppe aussah und fand zu meinem Glück heraus, dass eine Teilnahme auch sehr bequem von zu Hause aus möglich ist. Die wöchentlichen Sitzungen werden teilweise auch digital als Online-Treffen über Zoom angeboten. Der Link dazu ist auf der Webseite frei abrufbar. Also nahm ich spontan an einer Sitzung der Vipassana-Meditationsgruppe teil.
Ein kurzer Erfahrungsbericht:
Ich mache es mir zuhause mit einem Kissen auf dem Fussboden bequem. Die Sitzung beginnt. Im Video vor Ort sehe ich die Gruppe. Nebst mir sind noch drei weitere Personen online zugeschaltet. Die Leiterin begrüsst uns. Ich bin nicht der Einzige, der zum ersten Mal mit dabei ist. Uns wird kurz erklärt, wie es abläuft: Die Vipassana-Mediationsgruppe sei eine recht lose Gruppe, die sich jeden Mittwochabend um 19:15 Uhr trifft. Man könne jede Woche oder auch nur einmal im Jahr vorbeikommen. Für das Gemeinschaftsgefühl sei es natürlich von Vorteil, wenn immer etwa die gleichen Leute wieder erscheinen. Im ersten Teil der Sitzung wird eine Stunde in Ruhe dagesessen. Normalerweise ohne Anleitung, ausser wenn ein Lehrbesuch da sei. Das ist in der Regel einmal im Monat der Fall. Nach einer Stunde sitzend gibt es eine Pause. Manche verlassen an diesem Punkt die Sitzung und gehen frühzeitig wieder. Das gehe in Ordnung und ist jeder und jedem frei überlassen. Für diejenigen, die bleiben, gibt es einen zweiten Teil. In diesem bereitet jeweils eine Person etwas vor. Das kann ein Input oder eine Diskussion sein.
Und dann ging es auch schon mit dem ersten Teil los: Eine Stunde ruhig dasitzen. Nach einem Gongschlag schliessen wir die Augen und beginnen zu meditieren. Die Stunde vergeht schneller als gedacht. Meine Knie und mein Rücken schmerzen zwar, doch die Stunde hatte es in sich. Ich fühle mich tiefenentspannt und geistig irgendwie «aufgetankt».
Für den zweiten Teil an diesem Abend hat die Leiterin ein Buch mitgebracht. «Die Jünger Buddhas». Sie liest eine Geschichte über eine Frau vor, die zu Zeiten Buddahs lebte und zu einer sehr bekannten Nonne seiner Sangha (Gemeinschaft) wurde. Danach endet die Sitzung und ich bin um eine Erfahrung reicher.
Fazit
„Den“ Buddhismus gibt es so eigentlich nicht. Passender wären „Buddhistische Religionen“. Die Vielfalt an unterschiedlichen Strömungen und Traditionen widerspiegelt sich auch am traditionsübergreifenden Zentrum für Buddhismus in Bern. Mögliche Gründe für die westliche Faszination am Buddhismus sind laut Stefan Lang die pragmatischen, prozessorientierten, erfahrungsbasierten, rationalen und ermächtigenden Eigenschaften, die sehr gut mit der westlichen Lebenswelt kompatibel sind. Nebst der gelebten Tradition nach buddhistischer Lehre, hat sich im Westen buddhistische Ästhetik auch als Mainstream-Phänomen etabliert. Die Buddhafigur im Gartencenter ist keine Seltenheit und zeugt von einem Fehlverständnis der ursprünglichen Tradition. Durch einen Selbstversuch in einer Meditationsgruppe ist für mich die westliche Faszination an der buddhistische Lehre nachvollziehbarer. Die buddhistische Praxis scheint zeitlos zu sein und entsprechend auch den westlichen Nerv des 21. Jahrhunderts zu treffen.
Online-Angebot und Wissenssammlung des Zentrums für Buddhismus Bern
Literatur
Bühler, Willi; Bühlmann, Benno; Kessler, Andreas (2009). Sachbuch Religionen – Hinduismus, Buddhismus, Judentum, Christentum, Islam. Luzern: db-Verlag.